Neue Regeln für das Prime Badge und das zweite hervorgehobene Angebot
Amazon führt ab dem 21.06.2023 Änderungen bei den Kriterien für die Prime-Berechtigung sowie bei der Auswahl des Hervorgehobenen Angebots (Featured Offer) im Einkaufswagenfeld (Buy-Box) ein. Damit reagiert Amazon auf ein Prüfverfahren der Europäischen Kommission hinsichtlich wettbewerbsrechtlicher Bedenken. So wird es auch Sellern im Eigenversand künftig möglich sein, das Prime-Logo zu erhalten. Zudem soll im Einkaufswagenfeld (Buy-Box) ein zweites Angebot zu sehen sein.
Änderungen bei den Kriterien für die Prime-Berechtigung
Im Zuge der Einigung zwischen Amazon und der Europäischen Kommission ändern sich zum 21.06.2023 die Kriterien für die Prime-Berechtigung von Angeboten für alle Verkäufer für die Märkte Deutschland, Frankreich, Spanien, Niederlande, Polen, Schweden und Belgien.
Von den Änderungen ausgenommen sind die Märkte Italien und Großbritannien. Die italienische Wettbewerbsbehörde hatte Amazon bereits im November 2021 Maßnahmen auferlegt, nachdem sie dem US-Konzern vorgeworfen hatte, seine marktbeherrschende Stellung missbraucht zu haben - Großbritannien fällt seit dem EU-Austritt nicht mehr unter den Europäischen Wirtschaftsraum.
Wer kann eine Prime-Berechtigung erhalten?
Mit den Änderungen bei den Prime-Berechtigungskriterien wird es künftig auch weiteren Sellern im Eigenversand möglich sein, das Prime-Logo zu erhalten. Neben Artikeln, die Amazon selbst verkauft, haben bisher nur solche Seller das Prime-Logo für ihre Artikel erhalten, die ihre Artikel durch Amazon verschicken lassen (FBA = Versand durch Amazon) oder am Versandprogramm Prime durch Verkäufer teilnehmen, welches eine erfolgreich abgeschlossene Testphase voraussetzt. Seller konnten Bestellungen dann zwar aus ihrem eigenen Lager versenden, die Wahl des Transportdienstleisters war jedoch auf die von Amazon unterstützten Logistikpartner eingeschränkt.
Diese Einschränkung gilt künftig nicht mehr. Seller, die sich für ein Prime-Logo qualifizieren möchten, können ihre Logistikpartner frei wählen, solange Amazon die Informationen zur Sendungsverfolgung bereitgestellt und bestimmte Leistungskriterien eingehalten werden.
Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um die Prime-Berechtigung zu erhalten?
Damit ein Angebot künftig für Prime berechtigt ist, muss es:
- landesweit verfügbar sein
- mit kostenlosem Versand bestellt werden können
- kostenlos zurückgesendet werden können (Ausnahmen gelten lediglich in Bezug auf Produktgewicht und grenzüberschreitende Sendungen).
Hinzu kommen weitere Anforderungen, die für die Prime-Berechtigung erfüllt sein müssen. Diese leiten sich aus den Erwartungen von Prime-Kund:innen insbesondere in Bezug auf das Lieferversprechen ab. Daneben sind auch gültige Sendungsverfolgungsnummern (Rate von min. 99 %) und die Stornorate (max. 0,5 %) relevante Kriterien.
Ein Angebot, das die ersten drei genannten Punkte erfüllt, kann das Prime-Logo erhalten, wenn zusätzlich bestimmte Anforderungen an das Lieferversprechen erfüllt werden. Diese Anforderungen werden stündlich überprüft. Grundlage für die Berechnung der Schwelle für das Lieferversprechen sind die Detailseitenaufrufe bzw. das dort für die Kund:innen einsehbare Lieferversprechen.
Die Zielvorgaben zum Lieferversprechen bemessen sich nach dem Prozentsatz, wie häufig Kund:innen beim Seitenaufruf eines Angebots bestimmte Zeitfenster für die Lieferung zugesichert werden müssen.
Grundsätzlich erhalten alle Prime-berechtigten Angebote das Prime-Logo, die zu den 90 % der Detailseitenaufrufe mit dem kürzesten Lieferversprechen gehören. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wer unter die langsamsten 10 % fällt, erhält kein Prime-Logo; stattdessen wird lediglich kostenloser Versand für Prime-Mitglieder zugesichert.
Die Zielvorgaben für das Lieferversprechen berechnen sich je nach Art des Produktsortiments bzw. der Produktkategorie, welche durch die Abmessungen und den Produktpreis bestimmt wird, und sind außerdem davon abhängig, ob die Lieferung im Inland oder grenzüberschreitend erfolgt. Unterschieden wird zwischen Standard, Preishit, Extragröße und Übergröße.
Für die Produktkategorie Standard gilt bei Inlands-Lieferungen bspw., dass bei 70 % der Seitenaufrufe durch Kund:innen ein Lieferversprechen von weniger als vier Tagen zugesichert werden muss, bei 35 % weniger als zwei Tage und bei 5 % weniger als ein Tag. Basierend auf diesen Zielvorgaben wird eine Rate pünktlicher Lieferungen berechnet, um zu entscheiden, ob das Prime-Logo vergeben wird. Die Rate pünktlicher Lieferungen ist der prozentuale Anteil der Einheiten, deren Zustellung am oder vor dem angekündigten Liefertermin versucht wurde. Die Mindestvorgabe liegt in allen Produktkategorien bei 90 %.
Bei Verkäufern, die bereits vor dem 21. 06.2023 für Prime berechtigt waren, wird bei Versand durch Amazon und Prime durch Verkäufer die Prime-Berechtigung auf die Kategorien erweitert, in denen sie derzeit Prime anbieten.
Weitere Ober- und Untergrenzen
Darüber hinaus gelten weitere Ober- und Untergrenzen für das Prime-Logo, um Standard-Zeitfenster für die Liefergeschwindigkeit unabhängig von der prozentualen Verteilung (90:10) zu schaffen. Konkret bedeutet dies, dass ein Prime-Logo nie bei einer langsameren Liefergeschwindigkeit als der Obergrenze vergeben wird, auch wenn die Liefergeschwindigkeit immer noch schneller als die der langsamsten 10 % ist, und dass Artikel mit einer Liefergeschwindigkeit, die gleich oder schneller als die Untergrenze ist, garantiert ein Prime-Logo erhalten.
Die Änderungen bei den Prime-Berechtigungen haben zur Folge, dass künftig jeder Seller im Eigenversand das Prime-Logo erhalten kann, wenn gewisse Mindestanforderungen erfüllt sind. Dies dürfte den Eigenversand für Seller zukünftig noch attraktiver machen.
Buy-Box Änderungen
Amazon hat zudem folgenschwere Änderungen hinsichtlich des Einkaufswagenfelds (Buy-Box) bekannt gegeben. So sollen zum einen die Kriterien, wie das sog. Hervorgehobene Angebot ermittelt wird, überarbeitet werden und zudem soll es ein zweites hervorgehobenes Angebot geben.
Amazon Auswahlkriterien des “Hervorgehobenen Angebots"
Die zweite entscheidende Änderung betrifft die Auswahl des Hervorgehobenen Angebots im Einkaufswagenfeld. Amazon verspricht “objektiv-verifizierbare, nicht-diskriminierende Bedingungen und Kriterien”, um festzulegen, welches Angebot als Hervorgehobenes Angebot (Buy-Box) angezeigt wird. Dabei ist es irrelevant, ob es sich um Seller mit oder ohne FBA oder um Amazon Retail (Vendor) handelt. Diese Kriterien sollen zudem unabhängig vom Logistikpartner angewendet werden, den ein Seller nutzt. Auch Prime-Berechtigungskriterien oder das Prime-Logo sollen keine relevanten Kriterien für die Auswahl des Hervorgehobenen Angebots sein.
Zweites Angebot
Neben dem Hervorgehobenen Angebot soll im Einkaufswagenfeld künftig auch ein zweites Angebot zu sehen sein, welches basierend auf denselben Kriterien ausgewählt wird, allerdings in einigen Punkten von diesem abweichen muss.
Ein zweites Angebot kann dann eingeblendet werden, wenn dieses einen Preisunterschied in Höhe von 2 % für jeden Tag Unterschied in der Liefergeschwindigkeit aufweist. Jedoch muss das zweite Angebot mindestens 25 Cent günstiger sein.
In der Suche wird das zweite Angebot z.B. wie folgt dargestellt:
Alternativ kann das zweite Angebot auch auf Grundlage eines 10%igen Preisunterschieds unabhängig von der Liefergeschwindigkeit ausgewählt werden (auch hier gilt: nicht weniger als 25 Cent Preisunterschied in absoluten Beträgen).
Im neuen Einkaufswagenfeld werden dann also künftig bis zu zwei Angebote mit denselben Informationen (Seller, Preis, Lieferzeit) und Aktionen (In den Einkaufswagen, Jetzt kaufen) erscheinen.
Viele Fragen bleiben offen
Da die von Amazon veröffentlichte Regel, wer das Prime-Badge zukünftig erhält, noch etwas intransparent ist, bleibt jedoch abzuwarten, ob dies zu einer Zu- oder Abnahme von Prime-Angeboten führen dürfte.
Welche Versandvoraussetzungen ergeben sich aus den neuen Regeln? Reicht z. B. ein Standardversand mit DHL künftig aus, um das Prime-Logo zu erhalten? Könnten die neuen Regeln sogar dazu führen, dass zukünftig Seller mehr Eigenversand machen und sich von FBA abwenden?
Was bedeuten die Änderung für das Prime durch Verkäufer-Programm? Was bedeuten die Änderungen für die vielen Prime-Kunden? Kann Amazon hier die Qualität der Lieferung hinsichtlich Geschwindigkeit und Zustellung beibehalten?
Gemeinsam mit der Chance auf ein zweites Hervorgehobenes Angebot könnte dies die Verkaufschancen besonders für Reseller deutlich steigern. Wer sich als Vendor in einem Preiskampf mit Resellern befindet, dürfte sich zudem zukünftig mit geringeren Buy-Box-Anteilen konfrontiert sehen, wenn ein zusätzliches Angebot von Sellern gleichberechtigt erscheint und zudem das Prime-Logo trägt. Die Dominanz der Buy-Box durch Vendoren wäre damit beendet. Diese Transparenz dürfte Vendoren weiter unter Druck setzen. “The (Buy-Box) winner takes it all” gilt dann nicht mehr.
Aber auch Seller, die bislang das Hervorgehobene Angebot (die Buy-Box) gewonnen haben, könnten unter Umständen im Einkaufswagefeld häufiger auf Amazon treffen, wenn nämlich Amazon das zweite Hervorgehobene Angebot gewinnt. Das betrifft ggfs. Markenhersteller, die bislang im Seller Modell unterwegs waren. Macht Amazon hier von seiner Hersteller-Richtlinie Gebrauch, könnte Amazon auch bei leicht schlechteren Konditionen aber schnellerem Versand das zweite Angebot gewinnen. Nichtsdestotrotz scheint das zweite Hervorgehobene Angebot zunächst ein deutlicher Zugewinn für das Seller-Modell zu sein. Wer hier mit einer Hybridstrategie dafür sorgt, beide Buy-Box-Angebote zu besetzen, geht als Gewinner vom Platz.